DIE DEMUT BOOMT. Wer heute bei seinem Publikum punkten will, der zeigt sich demütig und unheimlich dankbar. Politiker, Manager, Sportler verschreiben sich selbst Demut. Die Medien hinterfragen kaum, wie glaubwürdig diese Tugend noch ist. Demut ist heute im Kern nichts anderes als Selbstentwertung. Man gibt sich bescheiden gegenüber anderen, um nicht als überheblich dazustehen.

Hablowetz Angela Merkel zeigt Demut

Angela Merkel zeigt Demut

https://de.euronews.com/2021/12/02/dankbarkeit-und-demut-angela-merkel-und-der-gro-e-zapfenstreich-zum-abschied

Die Tugend der Ergebenheit steht, wenn man sie wirklich ernst nimmt, ziemlich schräg in unserer exzessiven Leistungsgesellschaft. Nehmen wir nur den Politiker, der sich als Lautsprecher gibt, um sein Hauptziel zu erreichen: wiedergewählt zu werden. Oder den Spitzensportler, der nicht die geringste Schwäche offenbart, um seinen Gegnern zu imponieren. Dazu gehört auch, seinen Stolz zu Markte zu tragen. Wer aber seine Demut zur Schau stellt, der ist eigentlich nicht demütig.

Und trotzdem – die Demut boomt

In der Öffentlichkeit und in den Medien agieren Manager wie Leistungssportler. Politiker und Wirtschaftskapitäne bedienen sich der Demut als Beschwichtigungsmittel, wenn es im Amt oder in der Firma nicht rund läuft. Der unbescheidene Finanzmanager Alexander Dibelius rief seine Branche zu «kollektiver Demut» auf. Das hört sich an wie ein Massenbekehrungsversuch bei einer Sekte. Die Wiederkehr der alten religiösen Tugend scheint im Fahrwasser der Ethikregeln der Compliance in den falschen Film geraten zu sein. Demut als Marketinginstrument. (Heinrich Vogler)